Mehrfachnutzungen von Räumen sind zeitgemäß und meist sogar sehr einfach umsetzbar; mit einer Freiraumplanung am Fördeufer zeigen wir, wie eine bewusst geplante Mehrfachnutzung, die zielgerichtet verschiedene Bedürfnisse vereint, in der Praxis aussehen kann.
Mehrfachnutzungen von Räumen
Die sogenannte Multicodierung, die Mehrfachnutzung von Räumen, ist keine neue Idee - wo viele Bedürfnisse und Anforderungen auf engem Raum zusammenkommen, kam es schon immer zu Konflikten, deren Lösungen oftmals in Mehrfachnutzungen gefunden wurden; flexible und vielfältige Nutzungen und Nutzungsoptionen verringern den Flächenverbrauch und ermöglichen dadurch eine intensivere Nutzung des vorhandenen Raums, um die zahlreichen, sich überlagernden Interessen miteinander zu verbinden.
Beispiele hierfür sind Dach- und Vertikalbegrünungen (Wohnraum/ Infrastruktur + Sickerraum + Pflanzen/ Ökosystemdiensleistungen wie Lebensmittel und Bestäubung + Biodiversität), Waldgärten (Ökosystemleistungen wie Lebensmittelproduktion und saubere Luft und Wasserspeicherung + Lebensraum), Agri-Photovoltaik (Landwirtschaft + Energie), und vieles mehr.
Gerade in urbanen Räumen sind Planer*innen dazu angehalten, den Druck auf einzelne Flächen durch eine clevere und sinnvolle Mehrfachnutzung zu reduzieren. Räume sollten so gestaltet werden, dass sie nicht nur als Verkehrsfläche oder als Aufenthaltsfläche dienen, sondern in Hinblick auf die zukünftigen Klimaveränderungen und den Verlust der Artenvielfalt möglichst auch Aspekte wie Abkühlung, Regenwassermanagement und den Erhalt der Biodiversität berücksichtigen.
Der Küstengarten in Heikendorf am Fördeufer (Fotos: ALSE GmbH 2024)
Der Küstengarten in Heikendorf
Bei der Planung des Küstengartens, welcher im Frühjahr/ Sommer 2024 am Heikendorfer Fördeufer entstanden ist, haben wir bewusst versucht, einen Raum mit eben solch einer Mehrfachnutzung zu schaffen – ein Raum, der nicht nur dem Aufenthalt von Menschen dient und nett aussieht, sondern gleichzeitig Lebensraum für heimische Tiere und Pflanzen bietet, Bildungselemente bereitstellt und insgesamt arbeitsextensiv und klima- sowie ortsangepasst ist. Unsere Ansprüche an die Planung umfassten:
· Ort der Erholung, Entspannung und zur Beobachtung von Natur und Landschaft
· Visuelle Anschaulichkeit/ Ästhetik, Raum für Kunst/ Kultur
· Förderung der lokalen Biodiversität und Artenvielfalt
· Klimaanpassung
· Umweltbildung
· Arbeitsextensivität
Beim Küstengarten handelt es sich also keineswegs um einen, wie sonst in Deutschland oft üblichen, durchstrukturierten Ziergarten mit hochgezüchteten Blühformen, sondern um einen Raum, der in seiner Gestaltung und Bepflanzung eine Annäherung an die ursprüngliche und natürliche Struktur sowie Vegetation sein soll. Deshalb wachsen hier an die Förderegion optimal angepasste Stauden, Gräser, Gehölze und Blumen, welche mit den Klimabedingungen gut zurechtkommen und damit weniger Pflege bedürfen. Zudem dienen die Pflanzen als Nahrung und Lebensraum für verschiedene heimische Tierarten. Wenn die verblühten Stauden im Herbst nicht abgeschnitten werden, ist das also ebenfalls nicht nur arbeitsextensiver, sondern dient gleichzeitig dem Erhalt von Habitatstrukturen zur Überwinterung von Insekten.
Ein besonderer Hingucker im Küstengarten ist neben der Herstellung von Dünenstrukturen auch die sogenannte Biodiversitätsskulptur, welche durch die Holzkünstlerin Hannah Arneke in 180 Stunden Handarbeit aus einem Kastanienstamm geschaffen wurde. Die Kastanie fiel im Oktober 2023 im Heikendorfer Wald um und bekam so als Kunstwerk ihr zweites Leben. Das Besondere: Die Schnitzereien dienen durch die Themen Wasser, Natur und Küste nicht nur der visuellen Ästhetik, sondern bieten durch gut durchdachte Details gleichzeitig Lebensräume für verschiedene Tierarten.
Erstellung der Skulptur inkl. Habitatstrukturen durch Hannah Arneke (Fotos: ALSE GmbH 2024 und Wolfgang Hinz 2024)
So finden sich für Höhlen- und Halbhöhlenbrüter (wie z.B. Spatzen, Meisen, Kleiber, Hausrotschwanz, Bachstelze, Rotkelchen und Zaunkönig) über die Statue verteilt sechs Nisthöhlen, die zu Reinigungszwecken mit herausnehmbaren Fronten versehen wurden. Für spaltenbewohnende Fledermäuse (z.B. Zwerg- und Mückenfledermaus) dienen die in den Stamm eingearbeiteten Spalten als Sommerquartier und Rastplatz. Und zu guter Letzt bieten zahlreiche bewusst gesetzte Bohrungen Fluginsekten wie Wildbienen einen geschützten Platz zur Eiablage.
Um die verschiedenen Besucher*innen des Küstengartens zum Verweilen, Entspannen, Beobachten und Lernen einzuladen, wurden außerdem Sitzbänke aufgestellt und vier Informationstafeln installiert. Diese enthalten detaillierte Infos sowohl zum Küstengarten selbst, als auch zum Thema Biodiversität und der Geschichte Heikendorfs als Standort am und mit dem Wasser. Um hier auch Kinder und blinde oder sehbehinderte Menschen anzusprechen, wurde zum einen eine bronzene Relieftafel installiert und zum anderen auf eine kindgerechte Sprache und Gestaltung geachtet (z.B. durch den Abschnitt Für Kinder erklärt auf der Tafel "Biodiversität im Küstengarten" und die Verwendung vieler Bilder ).
Informationstafeln im Küstengarten (ALSE GmbH und outline-graphix) sowie die bronzenen Relieftafel für blinde und sehbehinderte Besucher*innen (von Karin Hertz/ Ute Diez/ BSVSH). Außerdem Bänke zum Verweilen (Fotos: ALSE GmbH 2024).
Die Gemeinde Heikendorf hat mit Umsetzung dieses Projekts aus unserer Sicht einen zeitgemäßen und nachhaltigen Platz geschaffen, der diversen Bedürfnissen Raum gibt und einen Vorbildcharakter zum Umgang mit kleinräumigen Strukturen in urbanen Räumen hat.
Und auch bei der offiziellen Einweihung am 30. August traf der Küstengarten allgemein auf großen Anklang. Wir sind gespannt, wie sich die Flora und Fauna an diesem Standort in Zukunft entwickeln und im Laufe der Jahreszeiten und aufgrund von sich stetig wandelnden Umweltbedingungen verändern wird!
Einweihung des Küstengartens Ende August 2024 durch Bürgermeister Tade Peetz und Bürgervorsteherin Nicola Specker (Fotos: ALSE GmbH 2024)
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